Warum ich keinen seidenen Hausrock will

Quelle

Patchwork-Hausmantel eines Herren, ca. 1825

Wie angekündigt bin ich auf den Spuren des Hausmantels. Alle Nase lang treffe ich nun auf Herren im Hausrock. Wie zum Beispiel bei diesem Portrait aus der Anton-Graff Ausstellung in der Alten Nationalgalerie.

Anton Graff Johann Joachim Spalding 1800Quelle

Es gibt unendlich viele Portraits von Männern in ihren Hausmänteln. Die Zeitspanne reicht vom 17. bis ins 20. Jahrhundert. Gern mit Turban, gern mit Buch und Schreibzeug. Zu Hause, gelehrt, intellektuell. Bequeme Kleidung für einen freienKopf.  Eine Bilderfülle dazu bieten z.B. diese Pinterest-Boards:

Banyans & Smoking Caps

Boys and Banyans

(Banyans heißen die Hausröcke auf Englisch, nach ihrem orientalisch-indischen Ursprung)

Quelle

Und dann stoße ich in den Tiefen meines eigenen Fundus auf diesen völlig vergessenen Mantel aus satinartigem Flanell, den ich mir  während meiner Studienzeit genäht hatte.

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Ich hatte schon damals solche Herren-Hausmäntel im Sinn und lange nach dem entsprechenden „Herren-Stoff“ gesucht. Mir kommt es jetzt  fast unheimlich vor, dass ich bereits auf dieser Spur war. Beunruhigend und gleichzeitig beruhigend, wie man es nimmt.

Sicher ist aber, dass ich den Morgenmantel nur sehr ungern trug und er bald in der Versenkung verschwand.

Wieso bloß trug ich ihn nicht gern? Stoff zu flutschig, Bademantelform zu unpraktisch? (O-Ton eines weisen Mitglieds meines Nähkränzchens: „Solche Mäntel sehen nur offen gut aus“).

Die Antwort habe ich über Bele gefunden, die letzte Woche in den Kommentaren  auf Diderot hingewiesen hat.  Diderot hat seinem alten Hausmantel eine ganze Abhandlung gewidmet. „Gründe, meinem alten Hausrock hinterherzutrauern„.  Der arme Mann hatte einen neuen scharlachroten Luxus-Hausrock geschenkt bekommen:

 Denis Diderot (Dimitry Levitzky)Quelle

Und plötzlich passt nichts mehr dazu – eigentlich müsste sein ganzes Mobiliar ausgetauscht werden. Das ist der sogenannte Diderot-Effekt. Dank dieses Begriffs aus der Konsumforschung weiß ich nun: Mein flutschiger Herren-Morgenmantel war zu gemustert, zu glänzend, zu drapiert. Darunter einen schlabbrigen verwaschenen Pyjama zu tragen, an den Füßen dicke Socken, das passt einfach nicht.

Nein, nun braucht man seidige Nachtwäsche, feine Pantöffelchen, ein Samtsofa, eine Teetasse aus Bone China.

Nun wird es natürlich spannend für mein Kaftan/Banyan/Hausmantel-Projekt. Was soll nach all dem werden?

Dazu dann in Kürze mehr, wenn wieder Termin ist bei der „Nix für Lemminge„-Aktion.

18 Kommentare

  1. Genial, Diderot-Effekt, davon hatte ich noch nie gehört! Krawattenmuster und glänzend ist in der Tat auch etwas klischeehaft. So ähnlich wie die 20er-Jahre-Mäntel vom letzten Mal, aus Baumwolle und gesteppt, vielleicht mit andersfarbigen Blenden? Ich sehe ein Kreuzung aus Marokko-Kaftan und Singapurjacke vor meinem inneren Auge! Wenn die zwei Lieblingskleidungsstücke ein Kind miteinander hätten, was würde dann herauskommen?

  2. Oh bitte, bitte nicht Deinen Plan verwerfen. Ich bin mir sicher, das Nichtgefallen lag am Krawatten-Stoff!

    Diderot-Effekt – klasse! Sowas gibt’s für viele Dinge in meinem Kleiderschrank (hier fehlen Schuhe, da eine Kette, hier der passende Schal usw.). Jetzt hat das Kind endlich einen Namen, und ein Argument gegenüber dem Herrn des Hauses für den Kauf dieser notwendigen Dinge!

  3. Danke für den Dideot-Effekt. Genau das bringt es knackig auf den Punkt, warum ich bei der Hausmantelgeschichte außen vor bin :)
    Ich habe ( hab ich den überhaupt noch?) einen Kimono-Morgenmantel mit Miromotiven- wunderschön. Den hab ich immer getragen, wenn ich beruflich in netten Hotels war. Sonst nie.
    Ich müsste meinen Lebens- und Nachtkleidungsstil ändern, um einen Morgenmantel stilvoll zu tragen.
    Und Seide? Geht da Nutella wieder raus?

  4. Herrlich, den Diderot-Effekt schon erlebt, ohne gewußt zu haben, dass es dafür einen Begriff gibt.Danke! Hausmantel für den Herrn gab es irgendwie schon viel früher, als für die Dame bzw. er war standesgemaß zeigbar und malbar. Die Dame war entweder im Bett oder angezogen, halb wahr dann nur für das zwielichte Gewerbe . Man hielt es wahrscheinlich für moralisch verwerflich Frauen so abzubilden, denn ich kann mir ncht vorstellen, dass es für Frauen so etwas nicht gab.
    Das obere Bild ist ja der Hammer! oder ist das etwas schon ein Druck? Die Vostellung aus lauter Rauten einen maßgeschneiderten Hausmnatel nähen zu müssen, empfinde ich als grausam..
    ich bin auch neugierig wie du dich entscheiden wirst. Seit euren Anstupsern habe ich auch einen dklblauen Mantel herausgekramt, der eigentlich ok ist und mal ein Schnellkauf fürs Krankenhaus war..
    In alten Filme schreiten die Diven oft im passenden Mantel zum Negligée (aus dem gleichen Stoff) durch die Räume, da habe ich dann oft gedacht, ohje für jedes Nachthemd einen Mantel.Ok, das ist dann für die, die schon alles haben.
    Pajamagrüße

  5. endlich gibt es einen wunderbaren begriff für mein konsumverhalten !
    ich löse mit jedem kauf nämlich jenen effekt aus !, ob küche, schuhe oder lebensmittel.
    und jedes mal mache ich mich darüber lustig. habe ich doch vor vielen jahren eine wunderbare kurzgeschichte dazu gelesen die ich sehr zum lachen fand. und kenn ich den begriff dazu, das vermag mein verhalten wenigstens intelektuell zu mildern.

    und seide ist mir persönlich zu glitschig…

    liebe grüße
    stella

  6. Danke für den Begriff! Damit lassen sich doch einige Erfahrungen und Gefühle einordnen. Dazu passt auch, dass ich mir Hausmäntel ganz gerne anschaue, aber keinen tragen würde.
    LG
    Susanne

  7. Entgegen Diderot habe ich meinen Bade/Morgenmantel seit mindestens 10 Jahren. Es ist ein türkises Getüm, ein Yeti. Er ist kuschelig, fluffig, gemütlich, groß genug. Er paßt zu mir. Leider ist er durch die vielen Wäschen in die Jahre gekommen, die Fluffigkeit hat gelitten. Die Suche nach einem Nachfolger ist schwierig, denn ich finde die richtige Farbe nicht und überhaupt, Yeti und ich sind unzertrennlich.
    LG
    Petra

  8. Großartiges Posting, toll geschrieben und den Diderot-Effekt finde ich perfekt. Ich wünsche ganz viel Erfolg bei der Entwicklung des neuen Morgenmantelbilds und bin gespannt, was du dir überlegst!
    Herzlich, Juli

  9. toll, was ich auf meine alten Tage hier noch lernen kann. Mit dem Scheinäsen hab ich bei meinen Kolleginnen schon angegeben, den Diderot-Effekt heb ich für meine Tochter auf .Ích sage aber immer, woher ich das habe – will mich ja nicht mit fremden Federn schmücken:-)
    Danke für die interessanten Beiträge
    Adelheid

  10. Danke für die herrlichen neuen Erkenntnisse. Und sogar das passende Fachwort dazu :))
    Ich muss allerdings der Annahme widersprechen, Kleidungzubehör als auch Hausstand müssten zum Hausmantel passen. Man kann es auch genau anders herum sehen. In diesem Sommer wurde ich durch widrige Umstände gezwungen, mehrere Nächte in einem verlebten Jugendhostel in einem gemischten Vierbettzimmer zu verbringen. Wahrlich nicht die standesgemäße Umgebung für meinen seidengefütterten Balkonmantel. Aber ich glaube, er hat mich gerettet. Wenn ich darin in die Gemeinschaftsdusche (durch die Küche zum Selberkochen durch) unterwegs war, fühlte ich mich geborgen und unverwundbar wie in einem sauberen Raumschiff. (Nur Kubikmetergroße Taschen in dem Mantel habe ich ein bißchen vermisst, denn dann hätte ich nichtmal irgendwo etwas abstellen müssen).
    LG
    Wiebke

    • Och menno, da will ich einmal eine dezidierte Meinung haben und nicht immer so wischiwaschi ausgewoge abwägen, da bringst du mir die besten Gegenargumente. Ja, du hast vollkommen recht. Ein bisschen was Schönes kann einen retten. Ich hatte früher für fiese Gästehauszimmer immer ein großes Tuch dabei, damit konnte man die gröbsten Hässlichkeiten abdecken.
      Auf große Taschen werde ich dann mal achten bei meinem Projekt.

      • Ich finde Wiebkes Argumentation auch sehr einleuchtend! Das Manko des alten Hausmantels ist m.E. das Material in Kombination mit dem Schnitt – wenn das das ist, was ich kenne, außen flutschig-glänzend und innen angerauht, Satin mit Flanellabseite. Dann ist man wegen der Flutschigkeit ständig damit beschäftigt, den Mantel neu zu arrangieren. Aber aus einer leichten Baumwolle wie Liberty Lawn und mit dünner Wattierung wäre das Tragegefühl schon ganz anders. Und vielleicht mit ein paar Knöpfen.

  11. Oh, genial – Diderot-Effekt, das war mir bislang kein Begriff (also in der Theorie, in der Praxis leider schon). Fremdelst du heute immer noch mit dem Mantel in der Wohnung oder unterwegs – wäre das nicht noch einmal einen Versuch wert mit Euch? Ich glaube, manche Ver-legenheiten (vor allem die Widersprüchlichkeiten des äußeren Scheins betreffend) legen sich ja so ein bisschen mit dem Älterwerden. Das ist das schöne, man wird dann einfach skurril ;) Nicht das schlechteste, vielleicht.
    Natürlich kann man sich den Kontrast auch einfach (z.B. modisch) schönreden.
    Na, also ich bin ja sehr gespannt wohin das führt, mit dem Kaftan und Dir! Sobald du Auswanderungspläne zu schmieden beginnst, gewinnt die Kleidung wohl Oberhand. Vielleicht hältst du dann noch mal Rücksprache mit deinem werten Publikum!

    Gestern habe ich übrigens 3 Handtuch-Turbane genäht – nach deiner Anleitung – die fanden reißenden Absatz und ich selbst bin auch ganz begeistert. Ein Dankeschön an dieser Stelle!

    LG frifris

  12. Dass aus dem Essay inzwischen ein Effekt wurde, war mir auch unbekannt. Danke für den Hinweis, dafür liebe ich unsere virtuellen Dialoge!
    Der erste gezeigte Morgenmantel ist ja wohl unglaublich! Man stelle sich die Dame hindrapiert auf einem Bett mit Quilts vor…
    An diese aufgerauten Flutschstoffe erinnere ich mich sehr gut. Ich hatte mir daraus einen überdimensionierten Pyjama in schwarz/royalblauen Streifen genäht, der aber schon lange nicht mehr unter uns weilt.
    LG, Bele

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