Ein Album kehrt zurück

Vor mehr als zwei Jahren verabredeten sieben Frauen aus Deutschland, Frankreich und den Niederlanden ein Projekt: Jede würde eine Aufgabe abschicken, zu der dann rundum jede der anderen etwas beitragen wollte. „Siebenerlei“ hieß die Runde. Dort im Blog könnt ihr sehen, wer mitgemacht hat.

Meine Idee war am längsten unterwegs. Erst jetzt ist sie wieder in Berlin angekommen. Und das Warten hat sich gelohnt! Ich hatte die anderen Sechs gebeten, das Leben einer Frau namens Käthe zu erfinden. Käthe hat im letzten Jahrhundert wirklich in Berlin gelebt. Viel weiß ich nicht von ihr. Ich habe vor langer Zeit einmal einen schäbigen Koffer von ihr mit ärmlicher Kleidung und einigen Gegenständen geschenkt bekommen. Sie lebte allein in einer kleinen Wohnung in Neukölln. Die Einzelheiten könnt ihr den ersten Seiten des Albums entnehmen, das ich als Galerie hier eingefügt habe.

Käthe hat in dem Album, das ich auf die Reise geschickt habe,  eine schöne Jugendzeit bekommen!  Alle haben mitgespielt und sich auf das Thema eingelassen. Das Album ist reich bestückt mit historischen Abbildungen, Fotos,  gealtertem Papier (wie habt ihr das bloß gemacht?), wunderbaren Schriften (auch solche perfekten Handschriften bewundere ich sehr), feinen Stoffen, Erinnerungen und antiken Kleinigkeiten.

Zuerst träumt Käthe von ihrer Zukunft. Reisen, Seidenkleidern, der Liebe und einer Familie. Ihre Freundin Frieda schickt ihr ein Zitat von Hermann Hesse „Alle Tage rauscht die Fülle der Welt an uns vorüber…“. Dann wird es richtig spannend: Käthe schreibt ihrer Freundin verblüffend authentische Briefe über aufregende Treffen mit dem Sohn ihres Chefs im Dresden der 1920er Jahre. Sie  legt viele Souvenirs bei. Sogar ein Haarnetz aus Echthaar hat sie sich für ihre neue Frisur geleistet. Und das Taschentuch ihres Liebsten Georg findet auch seinen Platz, mit Monogramm.

Ein Gedicht von Eva Strittmater lässt dann schon ahnen, dass vielleicht in Zukunft doch nicht alles immer nur pures Glück sein wird. Aber erstmal geht es weiter, mit Georg in die Oper „Die Liebe zu den drei Orangen“ – sehr modern!  Ein Porträt  Georgs von einem Maler der Neuen Sachlichkeit läßt uns ahnen, dass Käthe im Moment wohl alles durch die rosarote Brille sieht.

Geheimnisvoll dann: Ein Briefumschlag aus Frankreich mit einem älteren Familienbild. Von Georg ist danach nicht mehr die Rede, aber Käthe tröstet sich mit Mode. Vielleicht hat sie es zu mindestens einem Seidenkleid gebracht. Dem Album liegen feine handgefärbte Stoffproben bei, aus denen Käthe für ein Kleid auswählen kann.

Vielen Dank an die Siebenerlei-Runde, dass ihr so wunderbar mitgespielt habt! Es hat sich gelohnt, dass ich trotz arger Bedenken so ein enges Thema gewählt hatte.  Es ist eine Freude, euren Phantasien zu folgen und all die feinen Beigaben im Album zu genießen.  Und vielleicht wird die Geschichte ja noch einmal weitergeschrieben. Die Kleidungsstücke im Koffer jedenfalls wären für ein textiles Projekt gut geeignet.

Aber das ist Zukunftsmusik. Fürs erste gebe ich mich weiter den trägen stillen Sommertagen hin und blättere im Album. Außerdem freue ich mich auf die Stoffspielereien, die Frifris am Sonntag sammelt – Thema rund um „Fadengrafik„.  Das hört sich doch gut an.

16 Kommentare

  1. Wunderbar! Was für eine schöne und aufregende Idee, und welch zauberhafte Umsetzung. Ich bin ganz aufgeregt und gerührt und überwältigt und begeistert gleichzeitig.
    Nur eines wüßte ich gern: Hat Käthe nun in Neukölln oder im Wedding gewohnt (ein absolut vernachlässigbares Deteils, aber mich interessiert es aus Liebe zu meiner Stadt.)

  2. PS: Entschuldigung für die Tippfeler – ich kann eigentlich rechtschreiben und weiß, wei man Detail schreibt, und auch den Numerus und die Zeichensetzung beherrsche ich eigentlich. Ich schieb es mal auf die erwähnte Sommerträgheit…

    • Stimmt, im Album steht Neukölln. Ich änder das mal im Text und checke es zur Sicherheit noch einmal mit dem Spender der Koffers.

  3. Oh wie schön, dass das Buch doch noch zu dir zurückgekehrt ist – nach über 2 Jahren! Und so tolle Ideen – die Briefe habe ich auch mit viel Vergnügen gelesen. Das Grundkonzept finde ich sehr spannend, also fiktive Biographien entwerfen, das wäre ja wirklich ein Thema für ein spezielleres Tauschprojekt (das dauert dann sicher wieder 2 Jahre oder mehr…).

  4. Wirklich eine überaus gelungene und spannende Umsetzung deines Themas. Anfänglich der Koffer und die Kleidungsstücke sind noch beklemmend anzusehen oder meine Phantasie klemmt dabei . Aber die Seiten danach sind so schön erzählend, der Briefverkehr mit Frieda könnte immer weiter gehen und dann die Stoffe und usw. Eine schöne Entwicklung der Käthe-Geschichte. ERinnert mich jetzt auch wieder an den, im Februar diesen Jahres gesehenen, Film mit dem bezeichnendem Titel: „Einmal eine große Dame sein.“von Günter Lamprecht. Das wäre dann schon die Umsetzung ins Medium Film.
    liebe Grüße von Carmen

  5. Die Lorbeeren für den Abschnitt mit den Briefen gebühren Karen. Unglaublich, was sie da so fein geschrieben hat, in Form und Inhalt.

  6. Karen hat auch den Ton so gut getroffen, da kann man richtig gut eintauchen. (Ganz abgesehen von der Kalligraphie und dem kunstvoll gealterten Papier!)
    Das ist ein phantastisches Projekt. Deine relativ enge Vorgabe ist ja auch irgendwie ein Korsett dass das Thema stützt und den Teilnehmenden Sicherheit gibt. Damit das wirklich ein umfassendes Bild gibt.
    Eine Kostbarkeit.

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