Was Stoffe erzählen

Noch ist mein Hang zum Mystifizieren nicht vorbei, im Gegenteil. Stoffe geraten ins Unterbewußtsein, hier der Beweis: Diesen alten Vorhang habe ich vor einiger Zeit gekauft, aus hunderten von Vintagestoffen hatte ich ihn ausgesucht, und er war gar nicht mal ein Schnäppchen. Ich wußte nur, ich muß ihn haben.

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(Vorn im Bild ein regennasser Kater. Der nasse Kater lungert immer herum, wenn ich in der Nähe seines Napfes fotografiere).

An den Stoff habe ich dann nicht mehr viel gedacht, bis ich ein Foto aus meiner Kindheit sah: Ich esse ein Brötchen in der Küche meiner Eltern, hinter mir ein Vorhang.

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Ich war baff. Das Foto kannte ich gar nicht, an die Wohnung kann ich mich nicht erinnern. Retrotrend hin oder her, ich bin mir ziemlich sicher, daß hier ein Zusammenhang besteht. Das frühkindliche Brötchenessen ist inklusive Küchenvorhang in mein Unterbewußtsein geraten.

Solveigh Gött, eine Deutsche, die in Großbritannien lebt,  beschäftigt sich seit vielen Jahren mit solchen Themen.  Seit 2007 führt sie ein Online-Archiv, the textile files,  in dem sie Textilien und die dazu gehörenden Geschichten auf Karteikarten sammelt.  Das Ganze läuft unter der Überschrift „narrative Textilkunst“.  Ebenfalls in diesen Bereich gehören zum Beispiel die „Stories of Cloth“ von Lesley Sutton.

Solveigh Gött hat auch einen Vorhang aus ihrem Elternaus im Archiv – hier der Stoff und hier das Foto dazu.

10 Kommentare

  1. Das ist wirklich faszinierend was so in unserem Unterbewußtsein abläuft. Den Hang zu Stoffen kann ich gut verstehen, ich habe mir schon vor Jahren alte Geschirhandtücher und Tischdecken aus meiner Kindheit von meiner Mutter geben lassen (sie wollte sie wegschmeißen!). Es sind für mich schöne Erinnerungen damit verbunden. Ich kann noch nicht einmal sagen welche genau. Vielleicht fühlen wir uns als Kind so geborgen und wir versuchen das Gefühl durch die Stoffe zu erhalten.
    PS: Nachts sollst Du schlafen ;-)

  2. Als ich Deinen Post geöffnet habe, kam sofort, das kennst du, das hatte Oma in der Küche, so oder ganz ähnlich. Wenn mich allerdings jemand gefragt hätte, wie sah die Küche deiner Oma aus, hätte ich ihm ganz andere Dinge erzählt. Unser Gedächnis scheint auf vielen verschiedenen Ebenend zu funktioneiren und je nach akriver Sinnerwahrnehmung unterschiedlich zu speichern. Spannend.
    LG karen

  3. Ja, spannend! Möglicherweise haben wir zu Stoffen eine innigere Beziehung als zu anderen Dingen, schließlich umgeben uns Stoffe vom allerersten Moment unseres Lebens an ganz unmittelbar. Danke für die interessanten Links.
    VG Lucy

  4. Hallo, freut mich auch, gefunden worden zu sein – + Dein Blog zu finden – + sogar in Berlin…! Dabei suche ich regelmäßig nach deutschen textilrelevanten Blogs, die ansprechend + interessant sind (häufig ergebnislos, noch…), werde einen Link machen. Bis auf baldige weitere Besuche…

  5. Hi, da bist nicht nur du baff. Im Übrigen gefällt mir dein neugierig erstaunter Blick in die Welt.
    Mir schenkte meine Freundin zum letzten Runden Geburtstag eine CD in einer modernen Retro-Pappschachtel. Ich grinste nur, weil es fast exakt das Gardinenmuster aus meinem Jugendzimmer war.
    Mich beruhigt sehr, dass ich die Gestaltung meines Jugendzimmers (noch vorhanden, anders genutzt) noch immer mag. Ich habe schon damals auf blau statt dem üblichen braun/grün bestanden.

    Du hast offensichtlich diesen Teil der Vergangenheit vergessen, bleibst dir aber trotzdem in gewissem Sinne treu.
    Ich freue mich, deine Links demnächst zu verfolgen.
    Herzlichen Gruß
    Tally

  6. Kannst du da reinschneiden?
    Wohl schon, das ist ja nicht der Originalstoff von damals.
    Aber genauso schön.
    Aus einer Gardine, die in den 50ern im Wohnzimmer meiner Großmutter hing, habe ich letztes Jahr ein Kleid genäht. In ein paar Wochen ist Familienfest, da werde ich das anziehen und der Kommentare harren. Mal gucken, ob den Tanten das irgendwie bekannt vorkommt und sie wissen, um was es sich handelt. Oder ob sie das schon vergessen haben und nur so ein unbestimmtes Gefühl da ist.
    Auf die Gesichter freu ich mich schon mehr als auf das leckere Essen……

    • Mit dem Reinschneiden können wird es langsam besser (zur Not verbinde ich später alles wieder mit einem goldenen Faden…)
      Wie du dir denken kannst, bin ich sehr am Ausgang deines Experiments interessiert.

  7. kein Wunder…aber erstaunlich, sich dessen bewusst zu werden…
    Gestern zeigte mir jemand ein altes Schwarzer-Peter-Spiel und ich sagte sofort: die hatt ich auch.
    Ich glaube, dass einen die Formensprache der Kindheit bis ins tiefe Unterbewusstsein prägt und man das, vielleicht auch leicht modifiziert, immer wieder (er)lebt.
    Bei mir sinds eher noch die Sechzger als die Siebzger ( bin 47)…ich glaub, es ist die Zeit, in der du eben noch nicht bewusst reflektierst.

    Anderes: in meiner Stoffkiste befinden sich Stoffe, aus denen ich sicher nie etwas zaubern werde, die nur deshalb da sind, weil sie ihre Geschichte erzählen, jedes Mal, wenn ich auf der Suche nach einem Stöffchen alles umkremple!

    Dank auch für die tollen links!

  8. Ja, meine Stofferlebnisse sind nicht ganz so verwunderlich, wie eure Kommentare zeigen. Nun bleibt noch die Frage, ob das Ganze vielleicht generationsbedingt ist – die Generation meiner Eltern hat solche Sentimentalitäten jedenfalls nicht gepflegt. An die Stoffmuster ihrer Kriegskindheit wollen sie nicht erinnert werden, ebensowenig an den Muff der 50er Jahre, behaupte ich mal.

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